Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Bericht über das letzte von mir besuchte Festival erscheinen. Ich hatte extra die „große“ Kamera dabei und wollte euch ein paar der tollen, ausgefallenen Outfits präsentieren, die sich dort so tummeln. Mit dem Schwerpunkt auf Steampunk natürlich. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Willkommen im Festival-Blues!
Lasst Bilder schweigen!
Ich muss gestehen, die Kamera hat mein Zelt tatsächlich nicht ein einziges Mal verlassen. Ich habe nicht einmal nennenswerte Bilder mit meinem Handy geschossen. Ich könnte diesen Umstand jetzt auf das Wetter schieben (es war ein zackiger Wechsel zwischen kalt – Regen – windig – noch kälter – kurz mal Sonne – wieder von vorne) oder auf die Unlust, das beheizte Zelt zu verlassen. Tatsächlich hat es aber einen anderen Grund: Es war das abgefahrenste, freakigste und inspirierendste verlängerte Wochenende, das ich bisher erlebt habe! Da ich – wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt – absolut kein Fan davon bin, mir Konzerte durch ein Handy-Display anzusehen, kann man vermutlich leicht nachvollziehen, dass ich besondere Momente lieber live erlebe und in meinem Hirn einpräge anstatt sie bildlich festzuhalten. Leider gehören eben diese „Momente“ zur Kategorie „nicht reproduzierbar“, was ein nachträgliches in-Pixeln-speichern leider unmöglich macht.
Das hier ist tatsächlich meine gesamte Bildausbeute:
Ja und nun?
Ich könnte jetzt an dieser Stelle ein Feuerwerk an Insidern abbrennen, über das ich mich (nebst meinen Zeltdorf-Kumpanen) vermutlich königlich amüsieren würde, aber derlei Späße gehören wohl eher in einschlägige soziale Netzwerke.
Ich könnte wohl auch schon mal die Werbetrommel für mein nächstes Pamphlet anheizen, da es unmittelbar mit Festivals wie diesem zu tun hat – aber das möchte ich an dieser Stelle eigentlich auch nicht.
Stattdessen tippe ich hier gerade den wohl persönlichsten Artikel, den ich jemals verfassen werde. Denn je geiler das Festival, desto schlimmer das Ende.
Festivals und Alltag: Der Festival-Blues
Vergangenes Jahr war besagtes Festival im Nachhinein geprägt vom Frust über entgangene Gelegenheiten und verpasste Chancen – weil ich mir einfach selbst im Weg stand. Auch wenn wir viel Spaß hatten, ich einige neue Türen öffnen konnte und tolle Leute kennenlernen durfte – die Heimfahrt hatte einen bitteren Nachgeschmack und der Neustart in den Alltag fiel mir sehr schwer. Das Phänomen ist auch als Festival-Blues bekannt und scheint besonders diejenigen zu treffen, die alleine, also nicht mit einem (festen) Partner anreisen. Auch das Zurückschlüpfen in die Verantwortung der Muttertier-Rolle funktioniert so unmittelbar nach längerer, von unzähligen neuen Eindrücken geprägten Zwergen-Abstinenz eher holprig.
Auch dieses Mal hat mich der Blues mit voller Wucht erwischt. Nachdem ich einen ganzen Tag völlig in den Seilen hing und weder mit mir, noch mit meinem Alltag etwas anfangen konnte – dafür aber sehr nah am Wasser stand – habe ich den Spieß rumgedreht und das Leben wieder am Wickel gepackt. Und genau davon möchte ich euch erzählen, denn vielleicht hilft es auch dem ein oder anderen.
Den Festival-Blues erkennen
Die Heimfahrt mag je nach Müdigkeit, Wetter und Strecke noch einigermaßen witzig sein, aber spätestens wenn man (frisch geduscht) ans Auspacken und Wegräumen der Klamotten geht, schleicht sich gerne mal eine sentimentale Stimmung ein. Vor allem bei denjenigen, die zu diesem Zeitpunkt alleine sind und die Masse an Eindrücken mit niemandem teilen können. Wenn man dann noch unvermittelt in den Alltag zurückgeworfen wird – weil man zum Beispiel direkt wieder Verantwortung für etwas oder jemanden übernehmen muss ohne vorher mal richtig auszuschlafen, dann kann sich durchaus auch mal ein Kloß im Hals bilden. Regenwetter setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf. Kommt euch bekannt vor? Herzlichen Glückwunsch, ihr gehört dazu!
Nieder mit dem Störenfried!
Zugegebenermaßen hat mich das Ganze letztes Jahr ziemlich lange ziemlich lahm gelegt. Es ging mir zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon nicht wirklich gut, da war das zwar nur das i-Tüpfelchen – aber dafür ein großes. Ein bisschen ist der Festival-Blues wie Liebeskummer, nur dass es sich in der Regel nicht um eine konkrete Person, sondern um unterschiedliche Menschen und Dinge dreht. Man vermisst die Zusammenstellung aus Leuten, Stimmung, Musik und Spaß – und häufig hört man bei der Abreise daher Sätze wie: Das könnte jetzt gerne noch wochenlang so weitergehen! Ist das so? Lassen wir mal Verpflichtungen wie Job, Familie, Haus & Hof oder Steuererklärung außen vor – würde auch nur ein Teil der erlebten Zusammenstellung fehlen, wäre es nicht mehr dasselbe. Und würde sich dann auch noch eine Routine einschleichen, wäre der Zauber vermutlich dahin.
Der wohl wichtigste Punkt, mit dem man den Festival-Blues in seine Schranken weisen kann ist also: Es war nur so toll, weil es kurz war und vorbei ist!
Bewahrt eure Erinnerungen, hegt und pflegt sie, aber lasst sie nicht in euren Alltag eingreifen – außer ihr habt Erfahrungen gemacht, die euch tatsächlich weiter bringen. Räumt aber auch ihnen nicht mehr Bedeutung ein, als sie – mit ein wenig Abstand betrachtet – verdienen.
Wie bei Liebeskummer gilt auch: Finger weg von Musik, die euch melancholisch macht! Das kann bei Festival-Nachwehen durchaus auch mal Metal sein. Lasst es aus und hört einfach mal zwei Tage lang irgendwas anderes. Oder wenigstens Bands, die nicht vor Ort waren.
Wenn alles nicht hilft: Bestellt Tickets für das nächste Festival. Das wirkt. Immer.
Nutzen daraus ziehen
Wenn ihr ohnehin schon in sentimentalen Erinnerungen schwelgt, dann könnt ihr auch versuchen, ein bisschen positive Energie daraus zu ziehen. Durch den offenen Kontakt mit eigentlich völlig fremden Leuten (es vergeht kein Festival, an dem unser Zeltdorf nicht irgendwelche unbescholtenen Zeltnachbarn assimiliert), bekommt man auf wunderbare Art einen Spiegel vorgehalten, in den es sich einen Blick zu riskieren lohnt. Denkt euch mal zurück: Was war besonders toll oder ziemlich doof? Und hat es vielleicht etwas mit eurem Verhalten zu tun? Hat euch etwas an anderen Leuten gestört? Seid ihr vielleicht manchmal genauso?
Ich habe zum Beispiel gelernt, dass es sich lohnt, die eigene Komfort-Zone auch mal zu verlassen. Klingt eigentlich banal, allerdings war es ein riesiger Schritt für mich, meine Mädchen-Pienzerei (Hunger-Pipi-Kalt, ihr kennt das) mal beiseite zu schieben und nicht ständig über alles zu diskutieren (magichnicht-kennichnicht-willichnicht, kennt ihr sicher auch) sondern das Leben einfach mal so zu nehmen, wie es kommt.
Vom Festival-Blues ist danach nur noch eine große Portion frischer Motivation geblieben – die ich gerade nutze, um ein paar Projekte abzuschließen.
Wie bekämpft ihr den Festival-Blues oder kennt ihr das überhaupt nicht?
Das Chaospony aka Sandra Lina bloggt nicht nur und schreibt das ein oder andere Büchlein, es ist auch noch das Verleger-Pony im Chaospony Verlag. Finden kann man es auf Konzerten, Buchmessen, Festivals oder in der Buchhandlung Zeilenmagie (die hinter der Theke mit den bunten Haaren).
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